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Mütterlichen Ernährung: Einfluss auf die Immunantwort des Neugeborenen

05.2018
Autor
Dr. J. Hower, Pädiater

Fast 3 Millionen Todesfälle treten jährlich weltweit bei Säuglingen auf, die jünger als 30 Tage sind. Etwa ein Drittel dieser Todesfälle kann direkt oder indirekt auf Infektionen zurückgeführt werden. Neugeborene besitzen wegen eines funktionell unreifen Immunsystems eine höhere Infektanfälligkeit. Seit Jahrzehnten hat sich die Forschung bemüht, Interventionen zur Verbesserung der neonatalen Immunkompetenz zu entwickeln, um die damit verbundene Mortalität zu reduzieren. Hierbei scheinen Umgebungsfaktoren, wie zum Beispiel eine ausreichende und ausgewogene prä- und postnatale Ernährung, eine wichtige Rolle zu spielen.

Das Konzept, dass Mangel- und Unterernährung während der Schwangerschaft zur Entstehung von Erkrankungen beitragen kann, die bis in das Erwachsenenalter reichen, ist seit langem als die Theorie der entwicklungsbedingten Entstehung von Gesundheit und Krankheit (Developmental Origins of Health and Disease, DOHaD) bekannt.

Woher stammen die Erkenntnisse?
Es existiert vor allem aus tierexperimentellen Untersuchungen eine hinreichende Evidenz, dass eine mütterliche Mangel- und/oder Unterernährung während der Schwangerschaft und nach der Geburt dauerhafte Auswirkungen auf den Stoffwechsel, die Struktur und Funktion der kindlichen Organsysteme besitzen. Dies haben Nachuntersuchungen von Erwachsenen, deren Mütter in den Kriegs- und Hungerjahren zwischen 1944-1945 in Holland schwanger geworden waren, gezeigt.

Erkenntnisse:

  • Die Kinder der in der Frühschwangerschaft hungernden Mütter wiesen später ein höheren koronares und Adipositas-Risiko auf, was nicht in gleichem Maße für die Kinder galt, deren Mütter in der Mitte oder am Ende der Schwangerschaft hungerten.
  • Eine eingeschränkte Glucose-Toleranz wurde bei Kindern von Müttern beobachtet, die gegen Mitte bis Ende ihrer Schwangerschaft unter Hunger litten.
  • Jodmangel kann in der Schwangerschaft zu einer angeborenen Hypothyreose führen und Folsäuremangel kann das Risiko von Neuralrohr-Defekten erhöhen.

Auch ein Nahrungsüberschuss in der Schwangerschaft ist mit gesundheitlichen Langzeitfol-gen bei den Nachkommen verbunden. Das sich entwickelnde Immunsystem wird in utero bereits von den Umgebungsumständen geformt. Es reagiert empfindlich auf vorhandene Nährstoffbedingungen und passt sich diesen über eine epigenetische Programmierung an, die im Lebensverlauf beibehalten wird.

  • Ein mütterlicher Nahrungsmangel führt zu fetalem Stress, zu einer Beeinträchtigung der Plazentafunktionen und zu mütterlicher Immunsuppression. Mütterlicher Nahrungsmangel vermindert die Aufnahme mütterlicher Immunglobuline über die Plazenta und postpartal über die Brustmilch.
  • Ein Mangel kann auch zu einer gestörten intestinalen Barrierefunktion führen: Der mütterliche Ernährungsstatus und ihr Darmmikrobiom interagieren während der Schwangerschaft mit dem Fötus und in der frühen Postnatalperiode mit dem Neugeborenen. Teile der mütterlichen Mikrobiota (Darmflora) scheinen bereits den Föten und später das Neugeborene über den Geburtskanal zu erreichen und neben der Ernährung die Entwicklung und die Funktion des kindlichen intestinalen Immunsystems zu beeinflussen. Eine gesunde Darmflora fördert die Schleimhaut-Toleranz gegen-über nicht-pathogenen Antigenen, reduziert das Überwachsen pathogener Mikroorganismen und verbessert die Aufnahme von Nährstoffen, die für die Entwicklung des Immunsystems von Bedeutung sind. Ein in der Zusammensetzung verändertes Mikrobiom (Dysbiose), ist mit einem erhöhten Risiko für immunvermittelte Krankheiten wie Allergien, Asthma und entzündliche Darmerkrankungen sowie einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden.

Für eine Nährstoffanreicherung vor der Konzeption, in der Schwangerschaft und in der Stillzeit konnte bisher nur die Effektivität der Folsäure-Prophylaxe zur Prävention von Neuralrohrdefekten und der Jod-Prophylaxe zur Vermeidung einer angeborenen Schilddrüsen-Unterfunktion gesichert werden.
Die allgemeine, aus tierexperimentellen Ergebnissen abgeleitete Datenlage lässt allerdings vermuten, dass eine Vielzahl von Mikronährstoffen die Fertilität, die Embryogenese und die Bildung der Plazenta beeinflussen und damit vielleicht einige unerwünschte Schwangerschaftsereignisse verhindern können.

Fazit: Die optimale Ernährung bereits vor Beginn der Konzeption mag eine der wichtigsten Voraussetzungen für die spätere Gesundheit sein. Frauen im gebärfähigen Alter sollten nicht nur im eigenen, sondern auch im Interesse einer möglichen Schwangerschaft auf eine ausreichende und ausgewogene Ernährung achten. Die vielfältigen, mit der Nahrungsaufnahme verbundenen Zusammenhänge bedürfen einer weiteren Klärung.

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