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Eine frühe Fehlgeburt bedarf guter Begleitung

05.2022
Autorin Violetta Brauksiepe, B.Sc. Hebammenwissenschaften & Hebamme aus Essen

Von einer verhaltenen Fehlgeburt (Missed Abortion) wird gesprochen, wenn der Embryo nicht mehr vital ist, es aber noch nicht zu einer Blutung gekommen ist (1). Der fehlende Herzschlag in der Frühschwangerschaft trifft Frauen meist völlig unvorbereitet und mit ganz unterschiedlichen emotionalen Bedürfnissen (2). Von den klinisch bekannten Frühschwangerschaften enden etwa 10 bis 15 % vor der 12. SSW. Jede fünfte bis sechste Frau erlebt mindestens einmal in ihrem Leben eine Fehlgeburt. Das Wiederholungsrisiko steigt nach der ersten Fehlgeburt leicht auf etwa 15 bis 17 %, nach der zweiten Fehlgeburt auf 17 bis 25 % (DGGG).

Möglichkeiten des Vorgehens

Abwartendes Vorgehen

Spontanes Abbluten der Schwangerschaft ist nach 2 Wochen bei etwa 60 %, nach 6 Wochen bei 75 % der betroffenen Frauen zu erwarten (3). Die Blutung tritt unerwartet und meist für 2 bis 4 Stunden überregelstark (ca. 8 dicke, durchgeblutete Binden) und ggf. mit Koagelabgang auf (4).
CAVE: Bei anhaltender Blutung muss eine Klinik aufgesucht werden!
Möglich sind starke, wehenartige Schmerzen. Spätestens nach 14 Tagen sollte eine gynäkologische Wiedervorstellung erfolgen (4)!
CAVE: Binden und ggf. Schmerzmittel dabeihaben und Infektionszeichen beobachten!

Medikamentöse Blutungsinduktion

Zur Blutungsinduktion, die bis Ende der 12. SSW möglich ist, wird international Misoprostol empfohlen; allerdings wird es bei der verhaltenen Fehlgeburt im „Off-Label-Use“ verwendet (seit 2021 besteht ein Importstopp für Cytotec.) Die Einnahme von Misoprostol kann zu Hause oder in einer gynäkologischen Praxis erfolgen. Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwindel und Kopfschmerzen.
Der Prozess ist besser planbar als die abwartenden Methoden, sodass die Frau nicht von den Blutungen überrascht wird.
Wichtig ist, dass sich eine Begleitperson in der Nähe der Patientin aufhält und eine ärztliche Erreichbarkeit gesichert ist (4).

Operation

Es besteht die Möglichkeit einer Curettage oder Saugcrurettage. Beides sind Routineeingriffe. Die Curettage ist jedoch risikobehaftet: Verletzungen und Verklebungen an der Gebärmutter können bei weiteren Schwangerschaften Probleme bereiten (4).

Der Frau muss verständlich erklärt werden, dass es verschiedene Möglichkeiten für den Umgang mit einer verhaltenen Fehlgeburt gibt und sie selbst entscheiden kann, was für sie der richtige Weg ist. Es sollte unmittelbar nach der Diagnose vermittelt werden, dass es aus medizinischer Sicht selten einen Grund zur Eile gibt und die Situation für sie nicht gefährlich ist. Maeffert (2020) schreibt, dass hierzulande häufig eine schnelle Entfernung des Embryos durch eine Operation empfohlen wird. Zahlreiche internationale Studien zeigen jedoch, dass beim abwartenden oder medikamentösen Vorgehen weder das Risiko für eine Infektion noch für eine andere Komplikation höher ist als beim schnellen operativen Vorgehen (5).

Eine Internetrecherche auf verschiedenen Plattformen, auf denen Frauen ihre
Erfahrungsberichte teilen, zeigt zusammengefasst, dass viele Frauen beklagen, sie hätten keine Zeit gehabt, sich mit der Situation zu befassen, und seien nicht Teil der Entscheidungsfindung gewesen. Sie hätten sich während des ganzen Prozesses alleingelassen gefühlt, seien schlecht informiert und über kein anderes Vorgehen als eine Operation aufgeklärt worden. Die betroffenen Frauen hätten, wenn sie um die Möglichkeit gewusst hätten, ein anderes Vorgehen als eine OP gewählt. Auch zeigt sich, dass die wenigsten Frauen eine professionelle Begleitung durch eine Hebamme in Anspruch genommen haben bzw. dass ihnen diese Möglichkeit nicht vermittelt wurde.

Fazit

Der frühe Verlust einer gewünschten Schwangerschaft erfordert eine empathische, kompetente und professionelle Begleitung, damit sich Frauen nicht alleingelassen fühlen (6). Medizinisch gibt es keinen Grund für eine rasche, operative Beendigung. Es ist für viele Schwangere sehr wichtig, in der Situation einer verhaltenen Fehlgeburt mitentscheiden zu können. Circo et al. (2002) schreiben, es sei anzunehmen, dass Frauen sich nach einer ausführlichen Beratung für ein konservatives Vorgehen entscheiden würden. Nach umfangreicher fachlicher Beratung kann die Frau eine informierte Entscheidung treffen und den für sie richtigen Weg wählen. Nur eine gut informierte Frau kann eine selbstbestimmte Fehlgeburt erleben. Hebammen sollten Frauen in dieser schmerzvollen Ausnahmesituation professionell begleiten. Ein Anspruch auf Hebammenbetreuung (laut Hebammenvergütung) nach einer Fehlgeburt ist leider oft weder Hebammen noch betroffenen Frauen bewusst.

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Referenzen:
(1) Pildner v. Steinburg, S., Marzusch, K. Frühschwangerschaft: klinische Aspekte. In: H. Schneider, P. Husslein, K.-T. Schneider (Hrsg.). Die Geburtshilfe 2011 (4. Auflage), Berlin, Springer Medizin Verlag, S. 20–30.
(2) Brier, N. Grief following miscarriage: a comprehensive review of the literature. J Womens Health 2008 Apr;17(3):451-64. doi: 10.1089/jwh.2007.0505.
(3) Ciro, L., Jermy, K., May, C., Costello, G., Collins, W.P., Bourne, T.: Outcome of Expectant Management of Spontaneous First Trimester Miscarriage: Observational Study. BMJ 2002 Apr 13;324(7342):873–5.
(4) Maeffert, J. Die konservative Therapie der verhaltenen Fehlgeburt. Fortbildung und Kongress. Frauenarzt, 11/2020, S. 776–780.
(5) Kim, C., Barnard, S., Neilson, J., Hickey, M., Vazquez, J., Dou, L.: Medical treatments for incomplete miscarriage. Cochrane Systematic Review – Version published: 31 January 2017. 
(6) NICE Guideline: National Institute for Health and Care Excellence. Ectopic pregnancy and miscarriage: diagnosis and initial management. 2019.