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Die Auswirkungen des Konsums nicht-nutritiver Süßstoffe auf Kinder und Jugendliche

10.2022
Autor Dr. Jürgen Hower, Pädiater
aus Mühlheim a.d. Ruhr

Die Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen nimmt in den westlichen Ländern mit alarmierender Geschwindigkeit zu. In mehreren Studien wurde ein enger Zusammenhang zwischen dem Verzehr von zuge-setzten Zuckern, dem Adipositas- und dem Typ-2-Diabetes-Risiko nachgewiesen. 

Zur Vermeidung einer überhöhten Glucose-Belastung wurde die Verwendung von nicht-nutritiven Süßstoffen (NNS) als Alternative und Ersatz für kalorienhaltige Zucker in Getränken und Lebensmitteln eingeführt. Zu dieser Gruppe der Süßstoffe gehören: Aspartam, Acesulfame-Kalium, Neotam, Saccharin, Sucralose und Advantam

Den meisten Eltern dürfte nicht bewusst sein, dass Lebensmittel, die als zuckerreduziert gekennzeichnet sind, häufig durch NNS ergänzt werden. Trotz der allgemeinen Verwendung von NNS gibt es nur sehr wenige Studien, die sich mit den langfristigen gesundheitlichen Folgen bei Kindern und Jugendlichen befassen. 

Physiologie von Zucker versus nicht-nutritive Süßstoffe

NNS werden als Ersatz für Zucker verwendet, da ihr wahrgenommener Geschmack bis zu 20.000-mal süßer sein kann. Der Verzehr von Zucker aktiviert die Rezeptoren für süßen Geschmack auf der Zunge, was dem Gehirn signalisiert, dass Kalorien zu erwarten sind. Dies löst im Gehirn eine Kaskade antizipatorischer hormoneller Signale mit Erhöhung der Insulinsekretion und der Produktion von Magenenzymen aus, die wiederum zu Sättigungssignalen führen.

NNS aktivieren durch den süßen Geschmack die normale physiologische Reaktion. Diese antizipatorische Pawlowsche Konditionierung wird durch den Verzehr von NNS nicht erfüllt, da auf den süßen Geschmacksreiz keine Kalorienaufnahme folgt. Dies mag zu einem gestörten Gleichgewicht zwischen der Aktivierung des süßen Signals und der Energieaufnahme führen. Diese Hypothese wurde von Withers und Davidson im Tierversuch getestet. Ratten, die mit Saccharin (300- bis 700-mal süßer als Glucose) gesüßten Joghurt erhielten, wurden dicker und nahmen im Vergleich mehr Futter zu sich als Ratten, die mit Glucose gesüßten Joghurt erhielten. 

Studienergebnisse

Die wenigen an Kindern und Jugendlichen durchgeführten Beobachtungsstudien lassen einen Zusammenhang zwischen einem erhöhten BMI und dem Konsum von mit NNS gesüßten, kohlensäurehaltigen Erfrischungsgetränken vermuten. Kinder, die NNS-Getränke konsumieren, scheinen im Vergleich zu reinen Wasserkonsumenten eine höhere Kalorien- und Kohlenhydratzufuhr mit entsprechender Gewichtszunahme aufzuweisen. Kinder, die früh mit zuckergesüßten Lebensmitteln in Berührung kommen, zeigen eine höhere Präferenz für süßen Geschmack und zuckerhaltige Lebensmittel.
In einer begrenzten Anzahl von Humanstudien wurde gezeigt, dass NNS die Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms verändern und in die Glukoseregulation und die endokrinen Funktionen der Bauchspeicheldrüse eingreifen. Diese Veränderungen scheinen die Gesundheit und die Entstehung von Krankheiten zu beeinflussen.

Funktionelle MRT-Untersuchungen des Gehirns gesunder Erwachsener haben gezeigt, dass als Reaktion auf NNS andere Teile des Gehirns aktiviert werden als bei normalem Zuckerkonsum. Dies könnte bedeuten, dass NNS Geschmacks- und Belohnungsbahnen verändern. Zuckerersatz scheint das Problem der zunehmenden Adipositas und des zunehmenden Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen nicht zu lösen.

Fazit

Da viele Fragen hinsichtlich der möglichen kurz- und langfristigen Auswirkungen nicht-nutritiver Süßstoffe auf die langfristige Gesundheit im Kindes- und im Erwachsenenalter noch nicht hinreichend geklärt sind, dürfte es klug sein, Süßstoffe im Vergleich zu Zucker nicht als gesunde und unbedenkliche Alternative zu betrachten. Nicht nur beim Zucker, sondern auch bei Süßstoffen scheint die Dosis das Gift zu machen. 

Referenzen
Shum B, Georgia S. The Effects of Non-Nutritive Sweetener Consumption in the Pediatric Populations: What We Know, What We Don't, and What We Need to Learn. Front Endocrinol (Lausanne). 2021 Apr 1;12:625415. doi: 10.3389/fendo.2021.625415.
Debras C et al. Artificial sweeteners and risk of cardiovascular diseases: results from the prospective Nu-triNet-Santé cohort. BMJ 2022; 378:e071204. doi:10.1136/bmj-2022-071204.