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Ankyloglossie – die Auswirkungen eines verkürzten Zungenbändchens

04.2019
Autorin Frau L. Urlewitz, Hebamme aus Frechen

Die Beweglichkeit der Zunge und der Lippen sind wichtige Voraussetzungen für die Sprachentwicklung, die Ausformung des Gaumens und Kiefers, eine unbeeinträchtigte Nasenatmung und eine entspannte Nacken- und Halsmuskulatur. Im Säuglingsalter spielt die Zunge eine wichtige Rolle beim Stillvorgang. Sie legt sich bei korrektem Anlegen über die untere Kauleiste und bewegt sich bei der Trinkbewegung nach oben und unten. Durch diese Wellenbewegung fließt die Muttermilch in den Mund des Säuglings (Moghtader, 2018). Ein verkürztes Zungenbändchen macht sich dementsprechend beim Neugeborenen durch Stillschwierigkeiten bemerkbar.

Ankyloglossie
Das Zungenband ist eine Membran in der Symmetrieachse des Mundes, die die Unterseite der Zunge mit dem Mundboden verbindet. In den meisten Fällen ist es sichtbar, wenn man die Zunge Richtung Gaumen anhebt. Ist diese Membran verkürzt, kann es zu Einschränkungen kommen. Man unterscheidet dabei zwischen der anterioren Ankyloglossie – das Zungenbändchen sitzt zu weit vorne und ist daher zu straff – und der posterioren Ankyloglossie – das Zungenbändchen sitzt weit genug hinten, ist aber zu straff oder zu dick, um eine uneingeschränkte Bewegung der Zunge zu ermöglichen (Europäisches Institut für Stillen und Laktation, 2019).

Ein verkürztes Zungenbändchen kann sich schon zu Beginn der Stillbeziehung durch eines oder mehrere der folgenden Symptome bemerkbar machen (vgl. Guóth-Gumberger & Karall, 2016):

  • Säugling trinkt sehr selten (< 6-mal/Tag) oder sehr häufig an der Brust (> 12-mal/Tag);
  • Säugling dockt häufig ab und wieder an, kein ausdauerndes Saugen;
  • ineffektives Erfassen der Brust (z. B. nur wenig Gewebe erfasst oder keine deutlichen Saugbewegungen in der Schläfenregion);
  • ungewöhnliche Zungenform, ausgeprägtes Saugbläschen auf der Lippe;
  • Schluckauf, Blähungen, häufiges Aufstoßen;
  • Zunge des Säuglings spielt nie außerhalb des Mundes;
  • mangelnder Milchtransfer (z. B. Muttermilch nie sichtbar, keine Schluckbewegung);
  • Schmerzen an der Mamille, wunde Brustwarzen;
  • keine Entleerung der Brust durch das Stillen spürbar;
  • Milchstau, Mastitis, Abszess;
  • mögliche Beeinträchtigungen beim Trinken aus der Flasche (z.B. Säugling trinkt komplette oder letzten Teil der Mahlzeit schlecht, verliert Milch aus den Mundwinkeln, kann Vakuum nur schwer aufrechterhalten, Flasche kann leicht aus dem Mund gezogen werden).

Gewichtsentwicklung bei Ankyloglossie
Die Beeinträchtigungen durch ein verkürztes Zungenbändchen können ab Geburt, im Laufe der Stillzeit oder auch erst nach der Stillzeit auftreten. Dies hat zur Folge, dass je nach Zeitpunkt des Auftretens der Beeinträchtigungen die Gewichtsentwicklung des Säuglings variiert. Manche Säuglinge mit verkürztem Zungenbändchen entwickeln sich der Perzentilenkurve entsprechend. Andere fallen entweder gleich unter die Perzentilenkurve des Geburtsgewichtes oder nehmen erst regelrecht zu und beginnen dann etwa nach vier bis sechs Wochen unter das normgerechte Gewicht zu fallen. Dies liegt daran, dass in manchen Fällen die Milchbildung zwar zunächst in Gang kommt, die Beeinträchtigung der Beweglichkeit der Zunge jedoch nach einigen Wochen dafür sorgt, dass die Milchproduktion aufgrund mangelnder Anregung nicht aufrechterhalten werden kann (Moghtader, 2018).

Langzeitfolgen
Wird ein verkürztes Zungenbändchen nicht erkannt, kann es zu Langzeitfolgen kommen. Die Stillbeziehung ist möglicherweise auf Dauer durch sehr häufiges Anlegen geprägt. In manchen Fällen reicht dies, um die eingeschränkte Beweglichkeit von Zunge und Lippen zu kompensieren. Häufig führt eine unentdeckte und unbehandelte Ankyloglossie jedoch zum Abstillen oder zu Gedeihstörungen des Säuglings. Auch die Beikosteinführung kann erschwert sein, da das Bewegen von Nahrung im Mund durch die Zunge gewährleistet wird. Im späteren Kindesalter kann es zu Einschränkungen der Sprachentwicklung und zu Kieferfehlstellungen kommen (Guóth-Gumberger & Karall, 2016). Ebenso können Tätigkeiten wie das Essen von fester Nahrung oder das Küssen beeinträchtigt sein (Moghtader, 2018).

Therapie
Die Therapie der Ankyloglossie ist die Frenotomie, ein minimalinvasiver Eingriff, bei dem das Zungenband durchtrennt wird. Der Eingriff sollte so früh wie möglich erfolgen, um eine erfolgreiche Stillbeziehung zu ermöglichen und Langzeitfolgen zu vermeiden. Ein Arzt oder Zahnarzt führt den Eingriff unter Lokalanästhesie durch. Es bleibt eine rautenförmige Wunde zurück. Die Wundheilung verläuft offen. Für 4 Wochen nach dem Eingriff werden Dehnübungen empfohlen, um eine Verklebung der Wundränder zu vermeiden (Moghtader, 2018).

Nachsorge durch die Hebamme oder Stillberaterin
Nach dem Eingriff ist die Nachsorge durch eine Hebamme oder Stillberaterin essenziell, um die Stillbeziehung aufzubauen oder zu unterstützen. Dies umfasst das gemeinsame Anlegen in optimalen Stillpositionen, die Unterstützung bei der Reduzierung von Zufütterung, die Dokumentation des Gewichtsverlaufes und die Behandlung der wunden Brustwarzen (Moghtader, 2018).

Fazit:
Wenn eine Stillbeziehung beeinträchtigt ist, ist immer auch an das verkürzte Zungenbändchen zu denken. Da eine unerkannte Ankyloglossie eine Vielzahl an Beeinträchtigungen verursachen kann, ist es wichtig, dass die Symptome erkannt und betroffene Mutter-Kind-Paare zu den richtigen Ansprechpartnern weitergeleitet werden, damit die Frenotomie fachgerecht durchgeführt und nachgesorgt werden kann.

Referenzen:
Moghtader, D. (2018): Schmerzfrei stillen – die frei bewegliche Zunge, Vor- und Nachsorge der Frenotomie. In: Die Hebamme, 31 (6), S. 393–399
Guóth-Gumberger, M., & Karall, D. (2016): Das zu kurze Zungenband. Beurteilung und Begleitung. In: Laktation & Stillen, 2
Europäisches Institut für Stillen und Laktation: Das zu kurze Zungenband – ein Thema für die Stillberatung: http://www.stillen-institut.com/de/zungenband.html, Zugriff am 04.04.2019

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