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Zungenbändchen nur bei funktioneller Behinderung durchtrennen

11.2018
Autor Prof. J. Spranger, Universitäts-Kinderklinik Mainz

Nach einer Analyse von 9 in den vergangenen Jahren zu Zungenbändchen veröffentlichten Publikationen soll dies bei 0,02-4 % aller Säuglinge zu kurz gewesen sein [1]. Die unterschiedlichen Häufigkeitsangaben erklären sich aus dem Fehlen eindeutiger morphologischer Kriterien: welches Frenulum ausreichend lang, welches zu kurz und damit behandlungsbedürftig ist. Übereinstimmend werden als sichere Indikationen zur Frenotomie nur Funktionsstörungen angegeben, d.h. ein Stillhindernis beim Säugling oder Sprachstörungen beim älteren Kind.

Kann die durch das Frenulum am Mundboden fixierte Zunge des Säuglings die Brustwarze nicht umfassen, werden die Milchgänge ungenügend entleert, Milchfluss und -menge reduziert. Der Säugling bleibt hungrig, unruhig, fasst die Mamille mit den Kieferbögen, reizt und verletzt sie. Ursache hierfür kann, muss aber nicht ein zu kurzes Frenulum sein. Stillschwierigkeiten können viele Ursachen haben, und so ist vor der Frenotomie eine Stillberatung indiziert.

Beim älteren Kind kann ein zu kurzes Zungenbändchen die Artikulation oder den Sprachfluss stören. Selbstverständlich bedarf eine derartige Sprechstörung einer sorgfältigen differentialdiagnostischen Evaluierung, bevor man sie auf ein zu kurzes Zungenbändchen zurückführt.

Kommentar: Natürlich ist man versucht, einen so trivialen Eingriff wie einen Scherenschlag nah am Zungengrund durchzuführen, auch wenn der Säugling gut an der Brust trinkt und gedeiht. Wenn überhaupt, sollte die Frenotomie der chirurgischen Fachdisziplin vorbehalten sein. Auch der kleinste Eingriff kann eine Komplikation auslösen – und sei es nur eine Blutung bei bis dahin unerkannter Gerinnungsstörung.

Referenz: 
[1] Hentschel R (2018) Breastfeeding problems should be the only relevant criteria for deciding whether to carry out a frenotomy in infancy. Acta Paediatr 107:1697-1701.