Westliche Ernährung in der Schwangerschaft – ein Risikofaktor für ADHS und Autismus?

04. 2025
Autorin: Alexandra Lesmann, Hebamme und Ökotrophologin

Eine ausgewogene Ernährung in der Schwangerschaft legt bekanntermaßen die Grundlage für die gesunde Entwicklung des Kindes. Weniger bekannt, aber zunehmend diskutiert ist die Frage, ob bestimmte Ernährungsmuster auch das Risiko für neuroentwicklungsbedingte Störungen wie ADHS oder Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) beeinflussen können. Eine aktuelle Analyse mehrerer großer Kohortenstudien liefert Hinweise, dass das sogenannte westliche Ernährungsmuster in der Schwangerschaft das Risiko für ADHS und ASS beim Kind erhöhen könnte. Die westliche Ernährung ist gekennzeichnet durch einen hohen Anteil an gesättigten Fetten, raffiniertem Zucker und hochverarbeiteten Lebensmitteln bei gleichzeitig geringem Konsum von frischem Gemüse, Obst, Vollkornprodukten und Omega-3-Fettsäuren. Dieser Ernährungsstil steht schon länger im Verdacht, entzündliche Prozesse im Körper zu fördern, was zugleich auch die Entwicklung des kindlichen Gehirns beeinflussen könnte. 

Eine Studie aus Dänemark untersuchte im Rahmen der COPSAC2010-Kohorte die Ernährung schwangerer Frauen in der 24. SSW und stellte diese in Zusammenhang mit ADHS- und Autismusdiagnosen bei den Kindern im Alter von zehn Jahren. Ergänzt durch Metabolom-Analysen und Validierungen in drei weiteren internationalen Kohorten (> 60.000 Mutter-Kind-Paare) ergab sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen westlicher Ernährung und einem erhöhten Risiko, insbesondere für ADHS. Insgesamt 15 spezifische Metaboliten, die durch diese Ernährung verstärkt auftreten, konnten mit neuroentwicklungsbedingten Auffälligkeiten korreliert werden. 

Auch im Hinblick auf ASS liefern Daten aus zwei groß angelegten Geburtskohorten (MoBa und ALSPAC) neue Einblicke. Eine moderate bis hohe Adhärenz zu gesunden Ernährungsempfehlungen reduzierte in diesen Studien das Risiko für eine Autismusdiagnose um rund 21–22 %. Besonders deutlich war dieser Effekt im Bereich der sozialen Kommunikationsfähigkeit. Eine weniger starke Ausprägung zeigte sich bei repetitiven oder restriktiven Verhaltensmustern. Bemerkenswerterweise profitierten Mädchen dabei stärker von einer gesunden Ernährung als Jungen. 

Als möglicher Wirkmechanismus wird neben entzündungshemmenden und antioxidativen Effekten auch ein Einfluss auf die epigenetische Regulation diskutiert, etwa über die DNA-Methylierung oder die Reifung von Neurotransmittersystemen. 

Trotz der vielversprechenden Hinweise bleiben wichtige Fragen leider noch unbeantwortet. Der beobachtete Zusammenhang ist zwar statistisch robust, erlaubt aber keine abschließende Aussage über eine tatsächliche Kausalität. Da sich die Ergebnisse der Studien in Teilaspekten unterscheiden, erscheint zudem eine zurückhaltende Interpretation angebracht. Auch fehlen bislang randomisierte Interventionsstudien, um etwa den präventiven Nutzen gezielter Ernährungsberatung und entsprechender Ernährungsumstellungen zu belegen. 

Für die beratende Praxis im Hebammenalltag lässt sich jedoch ableiten, dass eine gesunde, pflanzenbetonte Ernährung mit einem geringen Anteil an stark verarbeiteten Lebensmitteln in der Schwangerschaft nicht nur für Stoffwechsel und Immunsystem des Fötus bedeutsam ist, sondern auch einen Beitrag zur gesunden Hirnentwicklung leisten könnte. In meiner täglichen Beratung von Schwangeren zeigt sich immer wieder, dass Frauen häufig nur ein unklares Bild von den Vorteilen gesunder Ernährung in der Schwangerschaft haben. Anschauliche Hinweise auf konkrete Vorteile, wie etwa der positive Einfluss auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns, machen die Thematik nach meinem Dafürhalten für viele Frauen greifbarer. Diese Zusammenhänge und möglichen Vorteile sollten frühzeitig im Beratungsgespräch mit werdenden Müttern thematisiert werden. Der richtige Zeitpunkt wäre bereits im ersten Trimester, da dann die Weichen für die neuronale Entwicklung gestellt werden.

Referenzen 

Friel, C., Leyland, A. H., Anderson, J. J. et al. Healthy Prenatal Dietary Pattern and Offspring Autism. JAMA Netw Open. 2024 Jul 1;7(7):e2422815. DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2024.22815 Zuletzt aufgerufen am 22.04.2025 

Horner, D., Chawes, B. et al. A Western Dietary Pattern during Pregnancy is Associated with Neurodevelopmental Disorders in Childhood and Adolescence. Nature Metabolism 2025. DOI: 10.1038/s42255-025-01230-z Zuletzt aufgerufen am 22.04.2025 

Schumacher, B. Ernährung in der Schwangerschaft beeinflusst Risiko für Autismus-Spektrum-Störung. Ärzte Zeitung online, veröffentlicht am 14.09.2024. www.aerztezeitung.de/Medizin/Ernaehrung-in-der-Schwangerschaft-und-Autismusrisiko-451764.html Zuletzt aufgerufen am 22.04.2025