Lieber Besucher, diese Webseite richtet sich ausschließlich an medizinische Fachkreise.

Ich gehöre einer medizinischen Berufsgruppe an

Nein

Menü

Geburtsverletzungen vorbeugen – was hilft wirklich?

12.2024
Autorin Lara Mönter, B.Sc. Hebammenwissenschaften, Hebamme aus Fiersbach

Viele Frauen fürchten sich vor Geburtsverletzungen, wie sie bei neun von zehn Erstgebärenden unter Geburt auftreten (Okeahialam et al., 2024). Diese haben mögliche Auswirkungen auf die Gesundheit und das Selbstbild der Frau und verursachen Kosten für das Gesundheitssystem. Das Forscherteam um Okeahialam aus England hat nun untersucht, welche Maßnahmen vor und unter der Geburt protektiv gegen Geburtsverletzungen wirken.

Definition von Geburtsverletzungen

Bei Geburtsverletzungen unterscheidet man zwischen mehreren Definitionen. Der Dammriss bezeichnet eine Verletzung des Perineums, also des Gewebes zwischen der hinteren Kommissur (Stelle, an der die großen Labien zusammentreffen) und dem Anus. Man unterscheidet vier verschiedene Schweregrade:

  1. Grades: Haut und Bindegewebe sind verletzt, die Muskulatur ist intakt.
  2. Grades: Die Muskeln bulbospongiosus, transversus, perinei profundus und superficialis sind verletzt. Der Afterschließmuskel ist unverletzt.
  3. Grades: Der Afterschließmuskel ist verletzt oder durchtrennt. Die vordere Darmwand ist intakt.
  4. Grades: Der Afterschließmuskel ist durchtrennt und die Darmwand verletzt.

Darüber hinaus gibt es noch weitere Geburtsverletzungen: Scheidenriss, Labienriss, Schürfungen, Klitorisriss und Zervixriss (Stiefel et al., 2013).

Häufigkeit und Risikofaktoren

Erstgebärende erleiden deutlich häufiger Geburtsverletzungen als Mehrgebärende (90 % vs. 70 %) (Lesley et al, 2014). Bei Erstgebärenden kommt es in 40 % der Fälle zu einer Verletzung 2. Grades und in 6 % der Fälle zu einer Verletzung 3. bis 4. Grades, bei Mehrgebärenden liegt die Inzidenz von Dammverletzungen 2. Grades bei 20 % und 3. bis 4. Grades bei 2 % (Okeahialam et al., 2024). Risikofaktoren für das Auftreten einer Geburtsverletzung sind eine protrahierte Austreibungsphase, ein erhöhtes Geburtsgewicht (Lesley et al., 2014), ein höheres maternales Alter, Übertragung und das Auftreten von Ödemen am Perineum (Jansson et al., 2020).

Auswirkungen

Das Auftreten von Geburtsverletzungen steht in statistischem Zusammenhang mit körperlichem und seelischem Leidensdruck direkt nach Geburt und als Langzeitfolge. Schmerzen und potentiell auftretende sexuelle Funktionsstörungen können die Beziehungen der betroffenen Frauen langzeitig negativ beeinflussen und auch der Bindungsaufbau zum Kind kann erschwert sein (McDonald et al., 2016). Geburtsverletzungen (besonders Dammverletzungen 3. und 4. Grades) stellen einen Risikofaktor für das Auftreten von Stuhlinkontinenz dar (Sideris et al., 2020). Neben den möglichen Auswirkungen für die Gebärende verursacht das Auftreten von Geburtsverletzungen auch Kosten für das Gesundheitssystem (Law et al., 2015).

Protektive Faktoren

Das britische Forscherteam um Okeahialam sichtete nun die Literatur zu der Fragestellung, welche Maßnahmen einer Geburtsverletzung vorbeugen können. Sie identifizierten folgende Faktoren:

  • Die Dammmassage ab dem dritten Trimenon senkt vor allem bei Erstgebärenden das Risiko einer Geburtsverletzung signifikant. Auch die Inzidenz von Episiotomien sinkt nach regelmäßig durchgeführter Dammmassage erheblich. Bei Mehrgebärenden sind die Unterschiede nicht signifikant.
  • Bei notwendiger Intervention birgt die Vakuumextraktion ein geringeres Risiko für eine Geburtsverletzung als eine Zangengeburt. Letztere erhöht das Risiko einer Dammverletzung um den Faktor 7 und das Risiko einer Analsphinkterverletzung um den Faktor 2.
  • Die Betrachtung der Effektivität des Dammschutzes zeigte unterschiedliche Ergebnisse. Einige Studien konnten einen protektiven Effekt bei korrekt durchgeführtem Dammschutz nachweisen, andere nicht. Unter korrekt durchgeführtem Dammschutz verstehen die Autoren eine Vorgehensweise, bei der die nicht dominante Hand des Durchführenden auf den kindlichen Kopf drückt. Daumen und Zeigefinger der dominanten Hand unterstützen den Damm und der Mittelfinger übt Druck auf das kindliche Kinn aus. Die Gebärende wird ermutigt, zügig zu atmen anstatt zu pressen. Diese Vorgehensweise soll die Durchtrittsgeschwindigkeit des Kopfes verringern und den Durchmesser des kindlichen Kopfes verringern.
  • Dammmassagen während der Geburt und warme Kompressen halbieren das Risiko für eine Sphinkterverletzung. Für die Dammmassage sub partu werden zwei Finger in die Scheide eingeführt, die mit einem Gleitgel leichten Druck in Richtung Damm ausüben.
  • Episiotomien sollten sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Sind sie jedoch notwendig, sinkt das Risiko für eine Sphinkterverletzung, je lateraler der Schnitt angesetzt wird.

Fazit

Da die Auswirkungen von Geburtsverletzungen auf die Gesundheit der Frau tiefgreifend sein können, ist das Auftreten einer solchen Verletzung nicht zu unterschätzen. Das betreuende Fachpersonal sollte wissen, welche Maßnahmen einer Geburtsverletzung vorbeugen können, die Frauen darüber aufklären (Dammmassage in der Schwangerschaft) und protektive Maßnahmen bei Zustimmung der Gebärenden unter Geburt durchführen (korrekter Dammschutz und Dammmassage während der Geburt). Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit von Interventionen unter Geburt sollte unter anderem auch das Risiko für eine Dammverletzung mit in die Entscheidungsfindung einfließen.

Kommentar der Autorin

Die Durchführung einer Dammmassage unter Geburt und eines Dammschutzes suggerieren eine liegende Gebärposition. Hier bleibt meiner Meinung nach zu diskutieren, ob es nicht protektiver für das Perineum ist, die Frau intuitiv und ohne Intervention gebären zu lassen. In manchen aufrechten Gebärpositionen sind solche Interventionen natürlich durchführbar, wenn auch deutlich erschwert.

Quellen:
Jansson, M., Franzén, K., Hiyoshi, A., Tegerstedt, G., Dahlgren, H., Nilsson, K. (2020). Risk factors for perineal and vaginal tears in primiparous women – the prospective POPRACT-cohort study, in: BMC Pregnancy and Childbirth, 20(1).

Law, A., McCoy, M., Lynen, R., Curkendall, S., Gatwood, J., Juneau, P., Landsman-Blumberg, P. (2015). The prevalence of complications and healthcare costs during pregnancy, in: Journal of Medical Economics, 18(7), S.533-541.

Lesley, A., Price, N., Simonite, V., Burns, E. (2013). Incidence of and risk factors for perineal trauma: a prospective observational study, in: BMC Pregnancy and Childbirth, 59.

McDonald, E., Gartland, D., Small, R., Brown, S. (2016). Frequency, severity and persistence of postnatal dyspareunia to 18 months post partum: A cohort study, in: Midwifery, 34:15-20.

Okeahialam, N., Sultan, A., Thakar, R. (2024). The prevention of perineal trauma during vaginal birth, in: American Journal of Obstetrics & Gynecology, 230(3), S.991-1004.

Sideris, M., McCaughey, Hanrahan, J., Arroyo-Manzano, D., Zamora, J., Jha, S., Knowles, C., Thakar, R., Chaliha, C., Thangaratinam, S. (2020). Risk of obstetric anal sphincter injuries (OASIS) and anal incontinence: A meta-analysis, in: European Biology, 252, S.303-312.

Stiefel, A., Geist, C., Harder, U. (2013). Hebammenkunde. Lehrbuch für Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Beruf. Hippokrates, 5. überarbeitete und erweiterte Auflage.