Kommerzielles genetisches Neugeborenen-Screening
10.2016
Autor Prof. E. Harms, Universitäts-Kinderklinik Münster
Die Entwicklung vereinfachter automatisierbarer Verfahren zu molekulargenetischer Diagnostik hat die simultane Diagnose mehrerer genetisch bedingter Erkrankungen in einem Testansatz aus einem Bluttropfen möglich gemacht. Dies nutzen inzwischen auch private Anbieter, um umfangreiche kostenpflichtige Angebote als „Ergänzung“ zum generellen Neugeborenenscreening direkt an die Eltern zu vermarkten. Damit wird der Eindruck erweckt, das reguläre Neugeborenenscreening sei unvollständig und das private genetische Screening könne diesen Mangel ausgleichen.
Mit diesem Angebot sind allerdings zahlreiche Probleme verbunden, zu denen drei Autoren aus Belgien, Canada und USA jetzt Stellung genommen haben [1].
Viele der angebotenen untersuchten Krankheiten erfüllen die ursprünglich von Wilson und Jungner 1968 formulierten Voraussetzungen für ein Neugborenenscreening nicht oder nur teilweise. Insbesondere eine präsymptomatisch wirksame Therapie wäre eigentlich eine Grundvoraussetzung, die für zahlreiche Zielkrankheiten dieser privaten Angebote nicht erfüllt ist. Eine fachspezifische Beratung – zwingender Bestandteil jedes genetischen Tests – und Verlaufskontrollen werden bei positivem Testergebnis nicht angeboten.
Die Tests können ohne vorherige Beratung online von den Eltern selber bestellt werden, ja sogar von gutmeinenden Freunden oder Verwandten zur Geburt eines Kindes als Geschenk präsentiert werden, mit dem Eltern unter Druck gesetzt werden, ja nichts zu versäumen, was der Gesundheit ihres Kindes dienen könnte. Die Autoren appellieren an alle staatlichen Stellen, sich nicht nur für die Einführung und Durchführung des für alle Neugeborenen verfügbaren qualitätsgesicherten Neugeborenenscreenings verantwortlich zu fühlen, sondern unsere Neugeborenen auch vor unvertretbaren kommerziellen Screeningangeboten zu schützen.
Referenzen: [1] Borry P, Sénécal K & Knoppers BM (2016) Do It Yourself Screening. JAMA Pediatrics 170: 523-524.