Antibiotika im Kleinkindalter. Risiko für Nebenwirkungen?

09.2025
Autorin Violetta Brauksiepe, Hebamme Bachelor Hebammenwissenschaften

Antibiotika gehören zu den fundamentalen Errungenschaften der modernen Medizin und sind für die Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten unverzichtbar. Ihre hohe Wirksamkeit verhindert oder heilt schwere Infektionskrankheiten und lindert deren Folgen (Wolf, Ballwieser 2024). Das ist nicht zuletzt für Kleinkinder von herausragender Bedeutung, um die es im Folgenden gehen soll.

Die therapeutische Wirksamkeit führte vielfach zu einer leichtfertigen, unkritischen Anwendung, häufig ohne gesicherte Indikation (Aversa et al. 2021). Ein nicht leitlinienkonformer Einsatz fördert jedoch die Selektion und Verbreitung multiresistenter Erreger (Holstiege et al. 2022, Wolf, Ballwieser 2024). Über die Resistenzproblematik hinaus rücken die direkten gesundheitlichen Folgen für das behandelte Kind in den wissenschaftlichen Fokus. Zwar ist in Deutschland ein Rückgang der Verordnungsraten bei Kindern zu verzeichnen, jedoch werden weiterhin zu häufig Breitband-Antibiotika eingesetzt. In rund 40 % der Fälle werden diese als Erstverordnung bei Kleinkindern verschrieben, obwohl sie selten Mittel der ersten Wahl sind. Dies steht im starken Kontrast zu Ländern wie beispielsweise Dänemark mit ca. 6 % (Wolf, Ballwieser 2024). Antibiotika sind hochwirksame, teilweise lebensrettende Medikamente, aber nicht alle Infektionen bei Kleinkindern müssen mit Antibiotika behandelt werden. Daher sollte das Nutzen-Risiko-Verhältnis bei jeder einzelnen Verordnung sorgfältig hinterfragt und kritisch bewertet werden. Die Risiken einer Antibiotikatherapie umfassen weit mehr als die etablierte und unbestreitbar wichtige Public-Health-Problematik der Resistenzentwicklung. Für eine fundierte, patientenzentrierte Nutzen-Risiko-Abwägung ist daher die Kenntnis der direkten möglichen Auswirkungen auf den kindlichen Organismus entscheidend. Es gibt unmittelbare und langfristige Gesundheitsrisiken. In Bezug auf die ersten Lebensjahre gilt es zu bedenken, dass in dieser Phase das Immunsystem, der Stoffwechsel und das Nervensystem eine rasante Reifung durchlaufen.

Mögliche Folgen des Einsatzes von Antibiotika

Die unmittelbaren Konsequenzen einer Antibiotikatherapie sind in der klinischen Praxis gut bekannt und stellen für Eltern und Behandelnde oft die primäre Sorge dar. An vorderster Stelle stehen hierbei gastrointestinale Beschwerden, die eine direkte Folge der disruptiven Wirkung von Antibiotika auf die etablierte Darmflora sind. Symptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit und insbesondere Diarrhö treten häufig auf (Hübner 2017). Antibiotika wirken nicht selektiv gegen pathogene Keime, sondern schädigen auch kommensale Bakterien, die für eine normale Verdauungsfunktion essenziell sind. Dies kann das mikrobielle Gleichgewicht empfindlich stören. Neben den gastrointestinalen Effekten sind allergische Reaktionen eine weitere bedeutsame kurzfristige Folge. Diese können von milden Hautausschlägen bis hin zu lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktionen reichen und erfordern daher eine sorgfältige Überwachung des Kindes. Des Weiteren begünstigt die Eliminierung der bakteriellen Flora unter Umständen das Wachstum von Pilzen, insbesondere Candida albicans, was sich in Form von oralem Soor oder Windeldermatitis manifestieren kann. Obwohl diese akuten Nebenwirkungen oft als vorübergehend und medizinisch beherrschbar gelten, können sie erste klinische Anzeichen einer Störung des körpereigenen Ökosystems darstellen.

Die umfassenden Untersuchungen von Aversa et al. (2021) und Beier et al. (2025) liefern Daten zur Antibiotikaexposition in den ersten beiden Lebensjahren und deren gesundheitlichen Konsequenzen. Kinder, die vor dem Alter von zwei Jahren mehrere Antibiotikagaben erhielten, entwickelten häufiger Asthma, Nahrungsmittelallergien, allergische Rhinitis und intellektuelle Beeinträchtigungen. Die mit Antibiotika in Verbindung gebrachten Risiken der meisten untersuchten Autoimmun-, Neuroentwicklungs- und psychiatrischen Erkrankungen waren jedoch minimal (Beier et al. 2025).

Aversa et al. zufolge ergaben sich Hinweise auf die Entwicklung chronischer immunologischer, metabolischer und neurobehavioraler Erkrankungen. Beier et al. fanden hingegen keinen konsistenten Einfluss des Antibiotikakonsums auf die Risiken für Autoimmunerkrankungen, entzündliche Darmerkrankungen und idiopathische Arthritis oder auf neurologische Entwicklungserkrankungen wie ADS, ADHS sowie Autismus-Spektrum-Störung. Bei beide Studien zeigte sich, dass eine oder zwei Antibiotikagaben das Risiko für einzelne Erkrankungen erhöhen und die Gefahr mit jeder weiteren Verschreibung maximiert wird. Konsequenzen des Antibiotikaeinsatzes können also im Kleinkindalter über die akuten Nebenwirkungen und die Resistenzproblematik hinausgehen. Zudem scheint der Zeitpunkt der Verabreichung relevant zu sein. Eine Exposition in den ersten sechs Lebensmonaten stellt offensichtlich ein kritisches Indikationsfenster dar (Aversa et al. 2021, Beier et al. 2025).

Die Bedeutung von Mikrobiom und Immunsystem

Die mikrobielle Besiedlung des Körpers unmittelbar nach der Geburt ist ein fundamentaler Prozess für die postnatale Entwicklung. Diese frühen mikrobiellen Gemeinschaften spielen eine entscheidende Rolle bei der „Erziehung“ und Reifung des Immunsystems, der Programmierung metabolischer Pfade und der Entwicklung der Darm-Hirn-Achse (Aversa et al. 2021). Das Mikrobiom trainiert das Immunsystem, zwischen harmlosen Umweltantigenen und pathogenen Bedrohungen zu unterscheiden, und fördert so die Entwicklung einer robusten Immuntoleranz (Aversa et al. 2021). Eine antibiotikainduzierte Störung dieses fein abgestimmten Prozesses kann zu einer fehlerhaften immunologischen Prägung führen.

Vorsicht mit Dosierungsfehlern

Eltern sollten keine passiven Empfänger, sondern aktive und informierte Partner im Gesundheitsprozess ihres Kindes sein (Wolf, Ballwieser 2024). Hier können Hebammen als Ansprechpartnerinnen der Eltern wichtige Aufklärungsarbeit leisten und diesen mit Wissen beistehen. Zudem muss die hohe Fehlerrate bei der praktischen Anwendung gesenkt werden. Studien zeigen, dass es in bis zu 50 % der Fälle zu Dosierungsfehlern kommt, weil Eltern Markierungen auf Flaschen, Messlöffeln oder Bechern falsch interpretieren (Hübner 2017). Hebammen sollten um die Hintergründe und den Kontext einer Antibiotikagabe wissen, um beispielsweise das Auftreten von Soor oder einer Windeldermatitis richtig einschätzen zu können, aber auch um elterliche Kompetenzen im Betreuungsbogen zu stärken, und bei komplexen Erkrankungen oder gesundheitlichen Problemen außerhalb ihrer Kompetenzen die Eltern an Ärzte vermitteln.

Literatur:

Aversa Z, Atkinson EJ, Schafer MJ, Theiler RN, Rocca WA, Blaser MJ, LeBrasseur NK (2021). Association of Infant Antibiotic Exposure with Childhood Health Outcomes. Mayo Clinic Proceedings 2021; 96(1): 66-77. DOI: 10.1016/j.mayocp.2020.07.019

Beier MA, Setoguchi S, Gerhard T, Roy J, Koffmann D, Mendhe D, Madej J, Strom BL, Blaser MJ, Horton DB (2025). Early Childhood Antibiotics and Chronic Pediatric Conditions: A Retrospective Cohort Study. The Journal of Infectious Diseases, jiaf191, 16 April 2025. DOI: 10.1093/infdis/jiaf191

Holstiege J, Bätzing J, Akmatov MK, Tillmann R, Hufnagel M, Hübner J, Berner R, Simon A (2022). Rückgang der ambulanten Antibiotikaverordnungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland 2010–2019. Regionale Entwicklung in den deutschen KV-Regionen. Monatsschr Kinderheilkd 170: 392–402 (2022). DOI: 10.1007/s00112-021-01276-9

Hübner J. (2017). Die Hälfte der Antibiotikadosierungen im Kindesalter sind falsch. Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie e. V. (DGPI) dgpi.de/die-haelfte-der-antibiotikadosierungen-im-kindesalter-sind-falsch/

Wolf C, Ballwieser D (2024). Warum falsche Antibiotika für Kleinkinder problematisch sind. Apotheken Umschau 07.03.2024.